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Radtour FrauenOrte

Das Land Sachsen-Anhalt als Ausstellungsort begreifend, stellt die Initiative FrauenOrte Orte in Sachsen-Anhalt vor, die Lebenswirklichkeiten und/oder Lebensentwürfe von und für Frauen in unterschiedlichen zeitlichen Bezügen reflektieren. Entweder über einen biografischen oder über einen örtlichen Zugang ermöglichen sie es, Frauengeschichte zu erfahren, wahrzunehmen und sichtbar(er) werden zu lassen. Mehr noch: auf Bürgerbeteiligung setzend, entstand vor nunmehr 20 Jahren ein Netzwerk, das gleichermaßen individuelle wie gemeinschaftliche Spurensuche nach Frauengeschichte als unabdingbaren Bestandteil unserer Landesgeschichte befördert.

Vielen Dank an FrauenOrte    für die Zusammenstellung und Beschreibungen der Orte für diese Tour durch Halle

Die Tour führt auf rund 10 Kilomentern durch die Halle. Start ist am Martkplatz und der Rathausstraße, wo um 1700 das Freiweltliche Adelige Fräuleinstift gegründet wurde. Vorbei am Stadtgottesacker, wo die Hallenserin Felicitas von Selmnitz liegt - sie war Taufpatin von Luthers Kindern und hat sich beharrlich für die Reformation in Halle eingesetzt - geht es zum Dorothea-Erxleben-Lernzentrum. Das Wandbild dort zeigt die erste promovierte Ärztin. Weiter geht es zum Elisabeth- und zum Diakoniekrankenhaus, deren Wurzeln auf das Wirken engagierter Frauen zurückgehen. Bis zur Burg Giebichenstein eine der wenigen Hochschulen mit nahezu paritätisch besetzer Professor*innenschaft.

Stationen

1. Marktplatz & Rathausstraße

Vom Marktplatz geht es (das Fahrrad schiebend) zur Rathausstraße 15/16. Dort befand sich das Jenaische Freiweltliche Adelige Fräuleinstift (1703-1974), einem von 5 FrauenOrten in Halle:

Der Gründer Gottfried von Jena, selber kinderlos geblieben, stiftete 1703 seine Immobilie -das „auf dem kleinen Sandberg hinterm Rathaus gelegene Wohnhaus- samt Hausrat sowie eine große Geldsumme, um wenig betuchten Familiennachfahrinnen desselben reformierten Glaubens eine standesgemäße Unterbringung zu sichern.  Als Professor, Reichstagsgesandter und Regierungskanzler in Rechtsdingen bewandert, verfasste er ein Statut, das (fast) alle Angelegenheiten des einzigen reformierten Stiftes in Preußen vorausschauend regelte. Auch der Garten dahinter gehörte zum Stift, der heute leider einem Parkplatz gewichen ist. Seitdem es mit dem Tode des letzten Stiftsfräulein 1974 seinen Stiftsauftrag verlor, verwahrt die Evangelisch-Reformierte Domgemeinde zu Halle den Nachlass des Damenstiftes. Einige Stücke befinden sich im Stadtmuseum.

Die Gemeinde-Archivarin Frau Hintzsche hat sich intensiv mit diesem Erbe beschäftigt. Sie weiß lehrreich und amüsant davon zu berichten: z.B. ob Herrenbesuch erlaubt war oder welches Jubiläums-Festmenü 1903 aufgetischt wurde. Nachzuhören ist das Gespräch bei frauenorte-der-podcast, unter www.frauenorte.net    oder (fast) überall wo es Podcasts gibt.

Tipp: Die halleschen Stiftsräume sind mittlerweile in Büros umgewandelt und nicht öffentlich zugänglich. Vielleicht klappt es aber mit einem Blick hinter die Fassade im Rahmen des diesjährigen Tag des offenen Denkmals - Halle (Saale) am 12.September 2021.

2. Stadtgottesacker

Hier befindet sich die Familiengruft und an der Außenmauer ein Epitaph der Familie von Selmnitz. Felicitas von Selmnitz hat sich mutig und beharrlich für die Ausbreitung der Reformation in der Saalestadt eingesetzt. Ihr bewegtes und von zahlreichen Schicksalsschlägen geprägtes Leben hat manche Spuren in der Stadt hinterlassen. Die Taufpatin Luthers Kinder hat die Marienbibliothek in Halle reich ausgestattet – in vielen der geschenkten Bücher finden sich persönliche Unterstreichungen, Notizen und kleine Symbole aus der Hand von Felicitas und Georg von Selmenitz. Sie zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung mit der Bibelübersetzung Martin Luthers und dem neuen Denken der Reformation.

3. Dorothea-Erxleben-Lernzentrum

Wandbild am Dorothea-Erxleben-Lernzentrum Halle (Foto: FrauenOrte Sachsen-Anhalt)

Wandbild am Dorothea-Erxleben-Lernzentrum Halle (Foto: FrauenOrte Sachsen-Anhalt)

Wandbild am Dorothea-Erxleben-Lernzentrum Halle (Foto: FrauenOrte Sachsen-Anhalt)

Für das 18.Jahrhundert war der Bildungs- und Lebensweg von Dr. Erxleben zeituntypisch. Bereits in ihrem Elternhaus erhielt sie zusammen mit ihrem Bruder vielseitigen Unterricht. Später vermittelte ihr der Vater, der niedergelassene Arzt Dr. Christian Polycarp Leporin, eine gründliche medizinische Ausbildung in Theorie und Praxis. Sie erweiterte diese als Autodidaktin systematisch ihr Leben lang. Und das obwohl sie „nebenbei“ einem Pfarrhaushalt mit vier Stief- und vier eigenen Kindern vorstand. Nach dem Tod des Vaters warfen ihr im Februar 1753 drei Quedlinburger Ärzte wegen fehlender Approbation „Pfuscherei“ und (in heutiger Lesart) „Wettbewerbsverzerrung“ vor. Daraufhin erwirkte sie eine königliche Sondererlaubnis, schrieb innerhalb von 11 Monaten ihre Doktorarbeit und reichte diese an der damaligen Friedrichs-Universität in Halle ein. Das erforderliche medizinische Examen in lateinischer Sprache bestand sie dort am 6.Mai 1754 und konnte im Juni d.J. die erfolgreiche Promotion im Hause ihres Halleschen Doktorvaters Dekan Prof. Juncker feiern. Auf vielfachen Wunsch übersetzte sie die Doktorarbeit ins Deutsche und widmete diese Fassung der Äbtissin des Frauenstiftes Quedlinburg Marie Elisabeth von Holstein-Gottorp, einer anderen der vielen starken Quedlinburger Frauen.

Am „Dorothea-Erxleben-Lernzentrum Halle (DELH)“ der MLU prangt ein Wandbild von Luca DiMaggio (Italien) & Lea June (Halle) von 2013. Dass dort praktische und kommunikative Fertigkeiten der zukünftigen Mediziner UND Medizinerinnen interprofessionell gelernt, gelehrt und geprüft werden, ist sicher ganz im Sinne der ersten deutschen Doktorin.

4. Elisabeth-Krankenhaus

Säkularisierung, zunehmende Industrialisierung und starkes Bevölkerungswachstum hatten im 19. Jahrhundert bedrohliche soziale Auswirkungen. Vor diesem Hintergrund legten vier Frauen in Neiße (Schlesien) den Grundstein für eine bis dahin unbekannte ambulante Krankenpflege und die Gemeinschaft (Kongregation) der Grauen Schwestern von der heiligen Elisabeth, die auf neue Weise die Gelübde von Armut, Keuschheit und Gehorsam mit einer praktischen Arbeit verbanden.

Der Bitte der katholischen Gemeinde folgend, trafen Ende Januar 1891 vier Elisabethschwestern in Halle ein und begannen, zunächst vom Graseweg aus, in der ambulanten Krankenpflege zu arbeiten. Drei Jahre später zogen die Schwestern der Kongregation in das neugebaute Schwesternhaus in der Mauerstraße ein. Mit den dort ebenfalls untergebrachten 24 Säuglingen entstand die erste Kinderstation in einem Krankenhaus der Saalestadt. Wenig später eröffneten die Schwestern ein Kinder- und Altenheim, einen Kindergarten, legten mit dem St. Elisabeth-Krankenhaus in der Mauerstraße und dem St. Elisabeth-Heim in der Barbarastraße den Grundstein für zwei moderne Krankenhäuser und entsprechende Ambulanzen. Sie sorgten für qualifizierte Ausbildung künftiger Säuglings- und Kleinkinderkrankenschwestern, Krankenschwestern und Pflegepersonal, engagierten sich für die Schaffung eines Hospizes, eines Babynestes, der Elisabeth-Tafel und vieles mehr.

Nach 130 Jahren erfolgreichen tatkräftigen Wirkens in der Krankenpflege, Seelsorge, Betreuung von Frauen in Notsituationen und der Armenspeisung nahmen die Schwestern von der heiligen Elisabeth im Juni 2021 Abschied von ihrer Wirkungsstätte in der Gewissheit, dass ihr Vermächtnis weiterhin erfüllt wird.

5. Neue Residenz

Neue Residenz (Foto: FrauenOrte Sachsen-Anhalt)

Neue Residenz (Foto: FrauenOrte Sachsen-Anhalt)

Neue Residenz (Foto: FrauenOrte Sachsen-Anhalt)

In der Mitte des 18. Jahrhunderts begann die Wissenschaft in der Medizin größeren Einfluss zu nehmen, also auch auf die Vorgänge bei Geburten. Geburtshilfe als medizinisches Fach und der Hebammenberuf erlangte eine andere Stellung. Deren Abwertung auf den Status als medizinisches Hilfspersonal begann. Es wurden sogenannte Geburtskliniken, Gebärhäuser, nach franz. Vorbild Accouchieranstalten genannt, geschaffen. In diesen wurden angehende Ärzte mit dem Geburtsvorgang vertraut gemacht und der ärztlichen Hilfe dabei. Für Hebammen gab es neu die Hebammenschulen, ohne die eine Hebamme keine Anstellung mehr bekam oder keine Hausgeburten begleiten konnte. In Halle gab es bereits ab 1741 Geburtshilfe im Lehrplan der Universität und ab 1787 eine Hebammenschule.

Anfang der 1780er Jahre schuf der Anatom Meckel ein „Privat-Accouchier-Institut“, wo die Studenten gegen Bezahlung von 5 Talern Zutritt bekamen. Erst 1806 entstand in Glaucha das erste wirkliche Accouchierinstitut der Universität und war in verschiedenen Privathäusern untergebracht. Durch die franz. Besetzung Halles und dem Schließen der Universität löste sich dieses gleich wieder auf.

Ab 1808 übernahm der Mediziner Carl Friedrich Senff die Direktion und ließ hier in der Residenz die ungenutzten Räume über dem Torbogen umbauen, die 1811 dann als Geburtsklinik eröffnet wurden. Jeder Student bekam hier eine Schwangere zugewiesen, die er befragen, untersuchen und bei der Geburt begleiten durfte. Die Zustände im alten baufälligen Gebäude wurden allmählich unhaltbar, nicht nur für die Gebärenden, sondern auch für die medizinische Ausbildung. Oft mussten wegen Platzmangel die Geburten in Gängen stattfinden oder Lehrvorträge abgebrochen werden. Es gab weder ein Wartezimmer noch separate Behandlungsräume. Verstorbene Patientinnen lagen oft im Auditorium, das man nur über den Weg zur Küche erreichen konnte. Deshalb wurde die Universitäts- Frauenklinik in der Magdeburger Straße gebaut.

6. Diakonie-Krankenhaus

Auch die Stadt Halle musste sich mit den Auswirkungen zunehmender Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts auseinandersetzen. Wiederholt auftretende Epidemien und deren Folgen boten den Anlass auch über Armen- und Krankenfürsorge nachzudenken und geeignete Wege zu erschließen. Vor diesem Hintergrund hielten Honoratioren der Stadt die Diakonissen für geeignet, im Rahmen einer auf Christus begründeten Fürsorge tätig zu werden.

Einer solchen Anregung entsprechend wurde im März 1857 nach dem Beispiel des Diakonissenmutterhauses Kaiserswerth und mit dessen Unterstützung im Weidenplan 4 ein evangelisches Diakonissenmutterhaus – das erste für die preußische Provinz Sachsen – mit der Aufnahme der ersten Patienten eröffnet. Eine qualifizierte Ausbildung von Diakonissen für die Krankenpflege gehörte zu den Hauptaufgaben des Diakonissenmutterhauses. Als zwei Jahre später die erste Vorsteherin Wilhelmine Hesse die Saalestadt verließ, um nach Kaiserswerth zurückzugehen, verfügte die Diakonissenanstalt in Halle über eigene Schwestern und damit über wichtige Voraussetzungen für die künftige Arbeit. Bereits 1868 ist die Diakonissenanstalt in ihrem neuen Domizil am Mühlweg zu finden. Die Einrichtung des Diakonissenwesens eröffnete zunächst für ledige Frauen eine Ausbildung für ein breites Spektrum sozialer Tätigkeiten, die eine berufliche Existenz im Rahmen einer religiösen Gemeinschaft ermöglichte.

7. Burg-Giebichenstein

Burg Giebichenstein (Foto: FrauenOrte Sachsen-Anhalt)

Burg Giebichenstein (Foto: FrauenOrte Sachsen-Anhalt)

Burg Giebichenstein (Foto: FrauenOrte Sachsen-Anhalt)

Die Unterburg Giebichenstein beherbergt seit 1921/22 die damalige Kunstgewerbeschule mit ihren Werkstätten der Stadt Halle und ist heute das Domizil des Fachbereichs Kunst der Hochschule für Kunst und Design.

1915 hatte der Münchner Architekt Paul Thiersch die hallesche Handwerkerschule übernommen und sie in der Folgezeit zu einer dem Werkstättenprinzip verpflichteten modernen Kunstgewerbeschule reformiert, die neben dem Bauhaus zu den bedeutendsten Bildungsstätten gehörte. Handwerkstradition und sachliche Gestaltung prägten im Sinne des deutschen Werkbundes das Profil der Schule, an der ab 1925 auch mehrere Bauhäusler tätig waren, so beispielsweise die Töpferin Marguerite Friedlaender.

In der Zeit des Nationalsozialismus wieder auf den Status einer Handwerkerschule zurückgeführt, gelang nach 1945 die Wiedereröffnung der Klassen für Architektur und bildende Kunst. Als Hochschule für industrielle Formgestaltung wurde die „Burg“ ab 1958 zum wichtigsten Ausbildungszentrum für DesignerInnen und KunsthandwerkerInnen der DDR.

Heute bietet die Schule ein vielfältiges Spektrum an Studienmöglichkeiten in Kunst und Design an. Die tradierte weibliche Rollenzuweisung wurde an der „Burg“ frühzeitig aufgebrochen. Bereits in den zwanziger Jahren oblag die künstlerische Leitung im Textil und Email, zeitweise auch in der Keramik, im Bucheinband und -druck Frauen – eine Konstellation, die für das Bauhaus undenkbar gewesen wäre.

Heute ist der Anteil von weiblichen und männlichen Lehrenden im Fachbereich Kunst annähernd gleich. Die Burg gehört damit zu einer der wenigen Universitäten und Kunsthochschulen in Deutschland, die annähernd paritätisch in der Professorenschaft besetzt ist.

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Alle Texte und Bilder CC-BY-SA by FrauenOrte Sachsen-Anhalt. Vielen Dank für die Bereitstellung!

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